Wie Sie die größten Nachteile von Selbsthilfebüchern erkennen und gute Selbsthilfeliteratur finden
Selbsthilfebücher sollen der Selbsthilfe dienen. Deshalb heißen sie so. Selbsthilfewerke ohne Bezug zu wahren Situationen aus der Beratung und Psychotherapie sind meistens aus der Perspektive des Autors geschrieben. Der Verfasser eines Selbsthilfewerkes hat logischerweise eine andere Vorgeschichte und eine andere innere Ordnung als der Leser. Das kann dazu führen, dass im Buch interessante und durchaus wertvolle Ideen angeboten werden – aber sie passen nicht zum Problem des Lesers.
In diesem Beitrag erfahren Sie, wie Sie die typischen Nachteile von Selbsthilfeliteratur erkennen und beim Lesen Enttäuschungen vermeiden.
Manche Menschen denken, dass Selbsthilfebücher eine Geldverschwendung sind. Andere setzen zu hohe Erwartungen in Bücher mit Glücksrezepten. Der gesunde Weg liegt auch hier in der Mitte. Selbsthilfeliteratur kann ein erschwinglicher und kurzer Weg sein, das Leben in eine positive Veränderung zu bringen.
Eines der Hauptrisiken von problematischer Selbsthilfebücher gleich vorweg: Manche Leser fragen sich: „Wenn diese Sichtweise oder der Lösungsansatz bei anderen Menschen hilfreich war, warum bin ich dann immer noch nicht in der Lage, mir selbst zu helfen?“
Das kann daran liegen, dass der Lösungsvorschlag einfach nicht passt. Das ist kein Problem, kann aber zum Problem werden, wenn man von sich nach dem Lesen die Lösungskompetenz verlangt.
Welches Buch sollte ich lesen? Auftragsklärung vor dem Kauf
In der systemischen Beratung und Therapie gilt: zuerst die Auftragsklärung, dann die Beratung. Nur dann kann sich eine im Sinne der Auftraggebers, also der ratsuchenden Person, gute Lösung entwickeln. Beratungssituationen, in denen der Berater seine Idee von einer Lösung zu verwirklichen und dem Klienten zu verkaufen versucht, können kaum gelingen.
Was ist Ihre Erwartung an ein Buch zur Selbsthilfe?
Was ist der antizipierte Auftrag an den Verfasser?
Lesen Sie auf der Basis Ihrer Ziele und Erwartungen die Titel und die Umschlagstexte der Bücher. Hier können Sie meistens die schnellen Heilsversprechen von den realistischen Veränderungskonzepten unterscheiden.
So können Sie problematische Buchtitel schnell erkennen:
Begriffe und Versprechungen wie „Nie wieder Angst“ oder „Nie wieder Streit“ sind problematisch. Weil sie am Leben vorbeigehen.
Titel wie „Einladung zum Umgang mit XY“ oder „Ihre ersten Schritte auf einem dauerhaften Weg zu ..“ versprechen einen realistischen Umgang mit dem Leben, das seinerseits seine Geschichten schreibt.
Wer ist der Autor? Hat er berufliche Erfahrung in dem, worüber er schreibt?
Was zeigt, dass echte therapeutische Erfahrung beim Autor eines Buches über Ängste vorhanden ist? Hat der Autor eine eigene Praxis? Kann er auf klinische, psychotherapeutische oder anderweitige Erfahrung hinweisen?
Das Problem von Patentrezepten in der Selbsthilfe
Eine bestimmte Intervention passt kaum für die gesamte Menschheit. Der eine Mensch kann mit einem Beispiel des Autors etwas anfangen, der andere hat keinen Bezug dazu. Je geschlossener die Angebote im Buch sind, auf desto weniger Menschen passen sie. Behauptungen verhindern Veränderungen, denn Behauptungen sind statischer Natur.
Einige der größten Nachteile vieler Selbsthilfebücher
- Kaum wissenschaftliche Überprüfung der angebotenen Werke. Prinzipiell kann alles veröffentlicht werden, was nicht gegen Gesetze und die guten Sitten verstößt
- Trivialisierung von psychischen Schmerzen und Trauer
- Heilsversprechen, die nicht in Erfüllung gehen: „Nie wieder Angst …“
- Abwertung vermeintlicher Denkfehler der Leser. Oft sind mit problematischen Lebenssituationen intensive Wertekonflikte, Zielkonflikte und Loyalitätskonflikte verbunden
- Selbstabwertung der Leser, weil die angebotenen Denkkonzepte und Glücksrezepte ihnen nicht helfen
- Verlust von Vielfalt bei der Auswahl von Lösungswegen
- Nachlassen der Kreativität, weil der Autor des Buches sich selbst das Wissen und die Kompetenz zugeschreibt, was für die Leser das Beste wäre
- Mangel an psychologischer, fachlicher Kompetenz von Autoren – wer seinen Job verloren oder eine Sinnkrise hinter sich hat, ist nicht automatisch ein guter Buchautor
- Kurze Dauer von Wirkung, wenn mit einem Buch die Hoffnung nach schneller und endgültiger Lösung aller Probleme verbunden ist
- Überbewertung des Buches hinsichtlich der Bedeutung rationaler Einsicht. Die meisten Menschen wissen, wenn bestimmte Denkmuster oder Verhaltensweisen ungünstig sind. Ohne Aufklärung über psychosomatische Zusammenhänge und Lösungskonflikte kann die Lektüre eines rational aufklärenden Buches sogar kontraproduktiv sein
Was können Autoren von Selbsthilfe unternehmen, um ihr Publikum zu erreichen?
Beim Schreiben eines Selbsthilfebuches kommt es darauf an, sich gedanklich in den Lesesessel zu setzen. So lange der Verfasser mental am Schreibtisch sitzt, ist er in seiner Welt gefangen. Weil jeder Mensch anders ist, sind Patentrezepte für die gesamte Menschheit nicht möglich. Auch nicht für eine bestimmte Problemgruppe (Depressionen, Ängste usw.)
Selbsthilfeautoren sollten ihre Leser deshalb ständig fragen. Da ihnen die meisten Leser nicht selbst antworten können, müssen im Buch ausreichend viele Antworten enthalten. In vielen Fällen reicht nicht eine Antwort. Wenn es auf das Abwägen der Folgen von Veränderungen ankommt, sind oft sogar mehrere Antwrten auf eine Frage erforderlich. So können sich die Leser in Situationen von Ambivalenz und damit aktiver Veränderung begeben.
Die Qualität eines Selbsthilfebuches entsteht also durch die Art der Fragen an die Leser.
In dem Moment, in dem der Leser eines Buches eine Frage liest, wandert seine Aufmerksamkeit aus dem Buch heraus auf sein Leben.
Durch Fragen und unterschiedliche Antwortentwürfe erfahren die Leser, dass es zu ihrem Problem verschiedene Sichtweisen und Abstufungen geben kann.
Wie Sie die Eigenschaften und Vorteile professionell geschriebener Selbsthilfeliteratur erkennen
Professionelle Selbsthilfeliteratur erkennen Sie z. B. an folgenden Eigenschaften:
- Überschaubare Textmengen, denn ein dickes Buch kann allein durch seine Maße und sein Gewicht eine negative Intervention sein. „Wenn ich für die Lösung meines Problems so viel lesen muss, dann ist mein Problem sicher ein schweres.“
- Professioneller, wertschätzender Schreibstil. Die Leser erkennen, dass Sie der Autor mit Respekt behandelt: Respekt auch für die Lösungsversuche, die gescheitert sind
- Nennung von Bildung und beruflicher Erfahrung des Autors
- Ausdrucksstarke Bebilderung: Bilder sprechen die Bereiche im Gehirn an, die unterhalb des rationalen, wertenden Bewusstseins liegen. Ein Beispiel, das sogar ohne reales Bild funktionieren könnte, wenn Sie es sich vorstellen: Die Skizze eines Gehirns, das wie ein Eisberg im Meer liegt. Die sehende und vermeintlich wissende Großhirnrinde ragt aus dem Wasser. Das Stammhirn und das Mittehirn sind unter Wasser. Die Bereiche unter dem Wasser lassen sich durch das Herabtauchen zu ihnen erreichen. In diesem Bereich spricht und argumentiert niemand. Hier haben Gesten und Bilder das Sagen.
- Fragen nach den Auswirkungen, wenn man sich als Leser z. B. eine Situation A oder B vorstellt und wie sich eine Veränderung auf ihn auswirken würde (hier ist in der Beratung oft eine psychosomatische Reaktion zu beobachten, z. B. ein tiefes Einatmen oder das Entspannen der Gesichtsmuskulatur
- Einladung zu einer Metaperspektive: Stellen Sie sich vor, Sie steigen auf eine kleine Leiter und sehen von diesem erhöhten Standpunkt aus auf Ihr Leben. Wie sehen Sie sich? Wie sehen Sie die Menschen, zu denen Sie eine Beziehung haben: im Privatleben, in der Arbeit …?
- Hinweis auf Evidenz zu vorgeschlagenen Interventionen. Die persönliche Meinung eines Autors reicht nicht, um einem ratsuchenden Publikum einen brauchbaren Veränderungsvorschlag zu unterbreiten
- Der Bezug zu realen Beratungssituationen und zu Studien zu einem Thema und den Wechselwirkungen von Veränderung kann das Vertrauen der Leser in das Buch stärken
- Zitate nachweislich erfolgreicher Selbsthilfeliteratur zeigen, dass der Autor auch seinen Autorenkollegen etwas zutraut. Dies befreit vom Verdacht des Anspruches auf die alleinige Deutungshoheit.
Zusammenfassung Selbsthifleliteratur
Professionell geschriebene Bücher zu den Themen Selbsthilfe, Lebenshilfe und Alltagsbewältigung können wertvolle eine Entlastung in schwierigen Lebenssituationen bieten.
- Entscheidend für die Qualität von schriftlichen Selbsthilfeangeboten ist es, die Leser in einen aktiven Denkprozess und ins Abwägen zwischen Alternativen zu bringen.
- Sie sollen eine angemessene Erwartung an sich selbst entwickeln, realistisch zu denken lernen, wertschätzend und einfühlsam mit sich umgehen.
- Realistisches Denken heißt keineswegs limitierendes Denken, im Gegenteil. Wer sich darauf einlässt, für einige Wochen eine als wirksam erwiesene Ernährungsumstellung beizubehalten, wird sehr wahrscheinlich eine erwünschte Veränderung erleben. Das Versprechen einer mühelosen Wunderdiät für drei Tage dürfte eher zu einer Enttäuschung führen.
- Für die Wunderdiät mit Nahrung gelten Grenzen auf der körperlichen Ebene. Für eine Wunderdiät auf mentaler Ebene gelten ebenfalls Regeln. Lange eingespielte Gewohnheiten brauchen meistens etwas Zeit, um sie stabil zu verändern.
Pragmatisch und einfach geschriebene, auf Evidenz basierende Selbsthilfeliteratur kann vielen Menschen eine große Hilfe sein. Ein gutes Buch kann auch zu der Erkenntnis führen, dass sich ein Leser mit einer Person zusammensetzen sollte, um seine Lebenslage professionell zu besprechen.
Mit dieser Art von Selbsthifleliteratur können die Leser aus ihrem Problemkreislauf aussteigen und von außen auf ihre Lebenssituation blicken
Die minimale Veränderung der Perspektive ist in vielen Fällen ein großer Fortschritt auf dem Weg zu einem guten Umgang mit Phänomenen erzielt. Mit der Abkehr von der ausschließlichen Idee, ein vermeintliches Problem müsste gelöst und gelöscht werden.
Die radikale Lösungsorientierung „Lösen Sie mit diesem Buch alle Ihre Probleme ein für allemal“ ist mit der Idee von einem Ende verbunden. Viele Menschen kommen mit der Idee von der Beendigung oder dem Abschalten sogenannter Symptome (Angst, kreisende Gedanken, Trauer usw.) in die Beratung. Dieses Absolutheitsdenken lässt Probleme oft erst entstehen. Rigides Lösungsdenken kann zu einer dauerhaften Problemstabilisierung führen.
Aktive, bewusste Ambivalenz führt hingegen oft in einen neuen, gelassenen Umgang mit problematisch erlebten Situationen.
Professionelle Selbsthilfeliteratur öffnet den Geist, sie bringt die Gedanken und Gefühle des Menschen in Bewegung, weckt die Kreativität und sorgt für positive Unruhe und Ungeduld, einen zuversichtlichen Aufbruch zu der Entscheidung, jetzt mit der Verändung zu beginnen und ihr stets treu zu bleiben, Tag für Tag.